Presseaussendung:

„80 Jahre personalisierte Medizin, 10 Jahre nach Fukushima, 35 Jahre nach Tschernobyl“

  1. Historischer Hintergrund

1903 erhielt Antoine Henri Bequerel gemeinsam mit Pierre und Marie Curie den Nobelpreis für die Entdeckung der Radioaktivität. Damit wurde ein neues Zeitalter in der Nutzbarmachung radioaktiver Strahlung eingeleitet. In den Folgejahren wurde versucht, potentielle Anwendungen im medizinischen bzw. nichtmedizinischen Bereich für ionisierende Strahlung zu finden. Im Jahr 1923 benutzte der ungarische Physiologe Georg von Hevesy zum ersten Mal radioaktive Stoffe für den Nachweis von biologischen Stoffwechselvorgängen. Diese radioaktiven Stoffe wurden auch Radioindikatoren genannt. Diese ersten In-vivo-Untersuchungen in Pflanzen sollten die Grundlage für die Anwendung radioaktiver Stoffe am Menschen sein und somit auch die Basis für ein neues klinisches Fach, der Nuklearmedizin, werden, welches erst Jahrzehnte später etabliert worden ist. Ein Meilenstein dabei war auch die Herstellung des radioaktiven Jod-131 durch Livingood und Seaborg, wodurch sich breite Anwendungsmöglichkeiten in der Diagnostik und Therapie von gutartigen und bösartigen Schilddrüsenerkrankungen ergaben.

In diesem Jahr feiert die Nuklearmedizin den 80. Jahrestag der erstmaligen therapeutischen Anwendung einer personalisierten Therapie in Form von radioaktivem Jod! Dr. Saul Hertz vom Massachusetts General Hospital (MGH) hatte im Vorfeld erfolgreich präklinische Studien mit radioaktivem Jod im Tiermodell durchgeführt, ehe er am 31.03.1941 erstmalig an einer jungen Frau radioaktives Jod erfolgreich zur Behandlung einer Immunhyperthyreose, Mb. Basedow, einsetzen konnte. Darauf aufbauend wird radioaktives Jod-131 seit Jahrzehnten erfolgreich neben der Behandlung von gutartigen Immunthyreopathien (Mb. Basedow) auch zur Behandlung von gutartigen Schilddrüsenautonomien bzw. hochdifferenzierten papillären und follikulären Schilddrüsenkarzinomen zielgerichtet eingesetzt. Ein großer Vorteil in der Behandlung von Jod-131 besteht darin, dass nur in seltenen Fällen mit Nebenwirkungen wie Allgemeinsymptome Mundtrockenheit, Magenschmerzen oder temporären Blutbildveränderungen zu rechnen ist.

Auch in Österreich gab es eine Reihe von international anerkannten Pionieren auf dem Gebiet der Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen mittels radioaktivem Jod wie z.B. der im Jänner 2019 verstorbene Univ.-Prof. Emeritus Georg Riccabona. Prof. Riccabona, ein ausgebildeter Allgemeinchirurg, führte bereits 1961 nuklearmed. Verfahren bei Schilddrüsenerkrankungen im sogenannten Isotopenlabor der Chirurg. Universitätsklinik in Innsbruck durch. 1969 wurde eine der ersten Nuklearmed. Therapiestationen für Hochdosisradionuklidtherapien im deutschsprachigen Raum an der Uni-Klinik in Innsbruck errichtet und Prof. Riccabona wurde 1976 Vorstand und Ordinarius der ersten Universitätsklinik für Nuklearmedizin in Österreich. Dieser besondere historische Bezug der Nuklearmedizin in Österreich zur Diagnostik und Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen liegt nicht zuletzt darin begründet, dass aufgrund des endemischen Jodmangels lange Zeit bis zur Einführung der Jodsalzprophylaxe 1963 Österreich ein Struma-Endemiegebiet war.

  1. Errungenschaften der modernen Nuklearmedizin bzw. was kann die moderne Nuklearmedizin anbieten?

Aufgrund der Vorerfahrungen in der Anwendung in Diagnostik und Therapie von radioaktivem Jod bei Schilddrüsenerkrankungen ist die Kombination aus funktioneller Bildgebung unter Verwendung offener Radionuklide und der daran geknüpften therapeutischen Anwendung ein ganz besonderes Charakteristikum dieses in erster Linie klinischen Faches. Vergleichbar dem Nachweis bestimmter Zellcharakteristika auf histologischen Schnitten als Basis für die Therapieentscheidung besteht in der Nuklearmedizin in der Anwendung von zielgerichteten Radiopharmaka die Chance auszutesten, ob diverse therapeutische Ansätze erfolgversprechend sind oder nicht. Entscheidend dabei ist die Auswahl des Radiopharmakons, wobei ein Teil an der Zielzelle, z.B. Tumorzelle, bindet und den radioaktiven Strahler quasi Huckepack mit sich führt. Je nachdem ob der Strahler für diagnostische Zwecke ausgerichtet ist kann dieser bspw. mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) nachgewiesen werden bzw. im therapeutischen Setting durch Beta- und Alphastrahlung die Zielzellen selektiv abtöten. Folglich sind diagnostische und therapeutische Verfahren sehr häufig bei onkolog. Erkrankungen in Anwendung. Diese Kombination aus Therapie und Diagnostik wird auch unter dem Fachterminus „Theranostik“ zusammengefasst und bezeichnet die therapiebegleitende  Diagnose mit dem Ziel die richtige Therapie für den richtigen Patienten zum richtigen Zeitpunkt zu ermöglichen. Neben der ursprünglichen Anwendung bei der Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen sind an dieser Stelle 2 weitere neuartige Therapieprinzipien auf Basis der Nuklearmedizin zu erwähnen:

Zielgerichtete Behandlung von bestimmten Tumorerkrankungen mittels radioaktiver Strahlung (am Beispiel Neuroendokriner Tumorerkrankungen und Prostatakarzinom):

Inoperable oder metastasierende gut differenzierte neuroendokrine Tumore weisen in einem hohen Prozentsatz eine erhöhte Rezeptordichte der sogenannten Somatostatinrezeptoren (SSTR) auf. Radiopharmaka können nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip spezifisch an den Tumorherden andocken, diese nachweisen und in weiterer Folge therapeutisch bestrahlen. Im Unterschied zur Strahlentherapie bzw. Radioonkologie werden in der Nuklearmedizin offene radioaktive Stoffe verwendet, welche in den Körper durch eine Infusion vergleichbar einer Chemotherapie verabreicht werden. Das therapeutische Radiopharmakon zur systemischen Anwendung ist hierbei in erster Linie mit dem Betastrahler Lutetium-177 gekoppelt. In ähnlicher Art und Weise findet das nuklearmed. Therapieprinzip auch in der Behandlung von metastasierten Prostatakarzinomen zunehmend Anwendung. Hierbei spielt die Ausbildung des sogenannten prostataspezifischen Membranantigens (PSMA) auf den entsprechenden Tumorzellen die entscheidende Rolle. Neuere Publikationen weisen auf eine sehr vielversprechende Behandlungsform hin.

Gerade im onkolog. Setting zeichnen sich nuklearmed. Therapieformen generell dadurch aus, dass die Behandlung grundsätzlich schmerzfrei und mit wenigen Nebenwirkungen behaftet ist. Weiters ist bei vielen Patienten, obgleich aufgrund der Ausdehnung der Grunderkrankung keine Heilung zu erwarten ist, ein verbessertes Gesamtüberleben und vor allem eine Verbesserung der Lebensqualität zu beobachten.

Die Entwicklung neuer Radiopharmaka in Diagnostik und Therapie setzt eine hochkomplexe Verzahnung präklinischer Analysen und Entwicklungen neuer maßgeschneiderter Moleküle voraus, an denen verschiedene wissenschaftliche Fachdisziplinen beteiligt sind. Der eigentliche therapeutische Effekt dieser sog. Radiopharmaka wird im Unterschied zu den klassischen Medikamenten einzig und allein durch den Strahleneffekt auf das Zielgewebe, in erster Linie Tumorgewebe, erzielt. Auch mögliche Nebenwirkungen auf das umliegende Gewebe sind durch das Einwirken der ionisierenden Strahlung erklärbar. Individuelle Nutzen- bzw. Nebenwirkungsabschätzungen der Strahlung lassen sich vor der Therapie durch patientenbezogene dosimetrische Messmethoden gut vorhersagen.

  1. Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten

So gut bewährt nuklearmed. Anwendungen in der Medizin sind bzw. in Zukunft auch noch breiter Anwendung finden werden, kann ionisierende Strahlung auch zu ungewollten schwerwiegenden Schäden führen, speziell wenn radioaktive Stoffe in den Körper gelangen. Die medizinische Anwendung wird unter strengen Vorgaben durchgeführt. Allerdings sind neben der medizinischen Anwendung strahlende radioaktive Stoffe auch für diverse nichtmedizinische Anwendungen entwickelt worden. Allen voran ist die Nutzung radioaktiver Strahlung durch Atomkraftwerke zu nennen und der damit verbundenen Gefahren. 10 Jahre nach dem Unglück in Fukushima bzw. 35 Jahre nach dem explodierten Reaktor in Tschernobyl sind die Folgen nach wie vor evident. Waldböden und damit auch Pilze und Wildfleisch sind auch heute noch radioaktiv belastet, wobei im Unterschied zu Fukushima, wo die meisten radioaktiven Partikel auf das Meer geweht wurden, der Fallout von Tschernobyl unsere Breiten mit z.T. langlebigen Radioisotopen breitflächig kontaminiert hat.

Auch die ungelöste Situation von Atommüllendlagern unserer Nachbarländer stellt eine weitere Hypothek für die Umweltbelastung der Zukunft dar. Auch wenn die Spätfolgen dieser Nuklearkatastrophen für uns relativ glimpflich ausgegangen sind, sollten die Risiken einer unkontrollierten radioaktiven Belastung nicht unterschätzt werden. Gerade nach dem Unglück in Fukushima wird international bemängelt kein spezielles Krebsregister zur Verfügung zu haben, um mögliche Langzeitfolgen für Strahlung zu dokumentieren. Obgleich als Folge der Tschernobylkatastrophe noch Spuren radioaktiver Strahlung in Pilzen bestimmter Regionen in Österreich feststellbar sind ohne ernstzunehmende Gefahr für die Menschen, ist die lokale Strahlendosis in der Umgebung des explodierten Atommeilers aufgrund der Langlebigkeit der Radioisotope noch um ein Vielfaches höher. Dies ist auch am Ort des Geschehens in Fukushima feststellbar. Dort liegt die zusätzl. Strahlendosis mancherorts noch bei mehr als 20 mSv pro Jahr und ist somit ein Vielfaches der normalen Strahlendosis. Millionen Tonnen radioaktiv verstrahlter Abfälle sind mittlerweile abgetragen worden, da diese mit z.T. sehr langlebigen radioaktiven Isotopen verseucht worden sind.

Die Dokumentation von Krebserkrankungen durch ionisierende Strahlung ist eine Aufgabe über Jahre und Jahrzehnte aufgrund der langen Latenzzeit von strahleninduzierten Tumorerkrankungen und kann somit, was insbesondere das Unglück in Fukushima anlangt, noch nicht endgültig bewertet werden. Es sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Strahlenbelastung ein geographisch-gesehen lokales Phänomen darstellt und jene Regionen hauptsächlich betrifft, in denen der primäre radioaktive Niederschlag, auch als Fallout bezeichnet, auftrat.

Experten auf dem Gebiet der Nuklearmedizin sind nicht nur befasst mit der therapeutischen Anwendung von radioaktiver Strahlung sondern im Schadens- bzw. Katastrophenfall auch mit der Versorgung betroffener Personen bzw. Vorsorge möglicher Strahlenschäden. Auch wenn sich radioaktive Strahlung nicht fühlen, riechen oder schmecken lässt, so kann man radioaktive Strahlung im Unterschied zu verschiedenen anderen Umweltnoxen mittels technischer Geräte, wie z.B. Kontaminationsmessgeräte, rel. einfach messen. Es lassen sich auf diese Weise radioaktive Verunreinigungen, auch Kontaminationen bezeichnet, in der Umwelt aber auch am menschlichen Körper gut lokalisieren und abgrenzen, sodass entsprechende Dekontaminationsmaßnahmen rasch und effizient durchgeführt werden können.

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